Interview über Glücksmomente, Minimalismus und Introversion

Mehr Klarheit und Glück – Interview mit Maike Kranaster.

Mehr Klarheit und Glück – Interview mit Maike Kranaster.

Marie Kondō oder Matt D’Avella – Minimalismus wird auf unterschiedlichste Art und Weise gelebt. Was es damit auf sich hat, warum auch Introvertierte mit dieser Methode mehr Klarheit und Glück in ihr Leben bringen können, hat mir Maike Kranaster in diesem Interview erzählt.

Auf Netflix gibt es zu dem Thema Minimalismus nicht nur eine Dokumentation, gefilmt von Matt, sondern auch eine Reality-Serie mit Marie. Ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass dieses Thema im Alltag angekommen ist. Ob viele Menschen damit glücklicher leben, ist nur mit ein paar Menschen belegbar. Die meisten von ihnen sind Blogger, YouTuber oder seit mehreren Jahren fester Bestandteil dieser Bewegung.

Für mich persönlich ist Minimalismus eine ziemliche Herausforderung. In bestimmten Lebensbereichen – wie dem Kleider-, Bücher- oder DVD-Schrank – gelingt mir das ganz einfach. In anderen Bereichen tue ich mir noch schwer. Aber viele Dinge im Leben sind ja “Work in Progess”. ;-) Es erleichtert mich auf jeden Fall, wenn mein Schreibtisch oder meine Arbeitsfläche leer ist. Denken fällt mir leichter und ich fühle mich weniger gestresst. Das macht mich im Alltag insgesamt zufriedener.

Also hat Minimalismus vielleicht auch etwas mit Glück zu tun? Und Glücksmomente können wir derzeit mehr brauchen denn je. Aus diesem und vielen weiteren Gründen, habe ich das folgende Interview mit Maike Kranaster geführt. Sie hat ein wenig Ahnung von Glücksmomenten, Minimalismus und Introversion. Viel Spaß beim Lesen!

Interviewpartnerin:
Maike Kranaster | Flowers & Candies

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Maike Kranaster’s Leidenschaft sind Lebensfreude, gute Auszeiten und Genuss. Sie ist total neugierig auf das Leben und die Menschen, denen sie so begegnet. Maike liebt die Vielfalt des Lebens: Lebendigkeit mit trubeligen, lebhaften Tagen genauso wie ruhige, entspannte Stunden machen für sie ein gutes Leben aus. Sie hat im Laufe ihrer Berufsjahre schon viele unterschiedliche Jobs gemacht.

Foto © Lutz Kampert

Wie ich Maike kennengelernt habe? So wie viele andere Menschen zunächst digital. Darauf folgten Gespräche auf Barcamps und anderen Veranstaltungen. Weiterführende Diskussionen rund um Introversion gab es dann bei dem einen oder anderen Kaffee. :-D Jetzt aber weiter mit dem Interview.

Wie entstand dein Blog „Flowers & Candies“? Und warum hast du dich für das Motto„ … für die guten Momente im Leben“ entschieden?

Ich bin ursprünglich 2013 mit dem Blog „Dortmunder Mädel“ gestartet, auf dem ich über alles berichtet habe, was man in Dortmund Schönes unternehmen kann. Mir war aufgefallen, dass man im Urlaub immer möglichst viel sehen und entdecken will und dort so viele tolle Dinge erlebt. In seiner Heimat aber besucht man oft die gleichen Kneipen und macht sich nicht die Mühe Neues zu entdecken.

Das fand ich sehr schade. Denn so entgehen einem so viele Gelegenheiten, sich die Zeit zuhause - das eigentliche Leben - schön und abwechslungsreich zu machen.

Irgendwann war dann das Thema Dortmund für mich aus erzählt und so hab ich Anfang 2017 den Blog „Flowers & Candies“ gelauncht. Dort schreibe ich über gute Auszeiten und darüber, wie man sich wertvolle Momente ins Leben holen kann.

Einen Schwerpunkt nimmt mittlerweile die Reihe „Meine Glücksmomente der Woche“ ein. Darin beschreibe ich jeden Samstag was mich die letzten sieben Tage glücklich gemacht hat. Eine Reihe, die eher zufällig entstanden ist, die aber von meinen Leser*innen total gemocht wird.

Lebenslust, Glücksmomente, kleine Auszeiten – Warum setzt du dich mit solchen komplexen bis philosophischen Themen auseinander? Könnte man sagen, dass in unserem schnellen Leben diese Dinge fehlen oder ihnen kaum Beachtung geschenkt wird?

Naja, ich habe selber irgendwann festgestellt, dass ich mich sehr in vermeintlichen Verpflichtungen und dem Wunsch, es allen recht zu machen verstrickt hatte. Irgendwann wirst Du wach und stellst fest, dass vieles in Deinem Leben gar nicht dem entspricht, was Du Dir eigentlich für Dich wünschst. Bei mir kam diese Erkenntnis 2011, als ich gesundheitlich einen ziemlichen Dämpfer bekommen habe.

Und, wie ich immer wieder sehe, geht es nicht nur mir so. Viele Menschen stecken in Strukturen, die ihnen irgendwie „passiert“ sind.  Man ist in einem Konstrukt gelandet, wo für einen selbst gar nicht mehr viel Raum bleibt. Und dann muss man viel Zeit und Energie aufbringen, um den Verpflichtungen, die einem gar nicht entsprechen, nachzukommen. Und auf der anderen Seite bleibt halt wenig Raum und Kraft für das, was uns gut tut und was uns nährt.

Ich bin tief davon überzeugt, dass das Glück des eigenen Lebens auch damit zu tun hat, nach und nach das zu reduzieren, was uns nur Energie kostet und sich stattdessen aktiv Dinge und Menschen ins Leben zu holen, die uns gut tun.

Das ist ein spannender Prozess. Und besonders lustvoll ist bei letzterem das Ausprobieren, herauszufinden, was uns Freude bringt. Wie früher als Kind. Da haben wir alles getestet. Haben spielerisch herausgefunden, was uns Spaß macht und was nicht.

Als Erwachsene ist das bei vielen doch sehr leistungs- und zielorientiert geworden. Wenn wir z. B. laufen gehen, dann weniger mit dem Blick darauf, ob es uns Freude macht, sondern oft im Hinblick auf Ziele, wie beispielsweise einen Marathon zu absolvieren, das eigene Gewicht zu reduzieren oder ähnliches.

Ich glaube, wir müssen dahin zurück, wieder mehr auf den Spaß am Leben zu achten, weniger auf Pflichten und Leistung. Darauf schauen, was uns selber Freude bringt und nicht, was sich gut bei Insta oder im Lebenslauf macht.

Deshalb finde ich es wichtig, die schönen kleinen Momente wahrzunehmen, die uns passieren. Und zusätzlich viele Gelegenheiten zu schaffen, wo wir sie erleben können.

Bei einem gemeinsamen Treffen haben wir sehr lange und ausgiebig über Introversion gesprochen. Würdest du dich selbst als introvertiert bezeichnen? Und was macht deiner Meinung nach Introversion aus?

Ja, ich sehe mich selber als introvertiert. Auch wenn das viele in meinem Umfeld sicher überraschen würde. Denn ich mag schon gerne mit Menschen in Kontakt sein und bin immer interessiert an ihren Geschichten.

Aber ich brauche auch Zeit für mich, um meine Energiespeicher wieder aufzufüllen. Auf ein gutes Gleichgewicht achte ich da immer mehr.

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Ich merke meine Introversion an verschiedenen Punkten: In mir unbekannten Runden bin ich meist eher still und höre erst mal zu. Ich gehe nicht gerne auf Partys, sondern treffe mich lieber im kleinen Kreis zu einem guten Essen oder ähnlichem. Ich kann wunderbar für mich sein und reise auch sehr gerne alleine. Smalltalk finde ich eher anstrengend und es interessiert mich auch nicht wirklich.

Ich mag gerne „echte“ Themen und will mein Gegenüber wirklich kennenlernen. Für Schwingungen habe ich einen besonderen Detektor und erkenne schnell, ob jemand authentisch ist oder ob er eine Maske trägt.

Ich glaube, das sind alles typische Merkmale von Introversion, oder?

Reduktion und Minimalismus sind fester Bestandteil deines Alltags – darüber dürfen wir ja auch immer wieder in deinen Glücksmomenten lesen. :-)
Warum hast du damit angefangen?

Mich stört zu viel Zeug einfach ungemein. Zu viel Gedöns rumfliegen zu haben, macht mich unruhig. Ich merke einfach, wie sich äußere Unruhe auf meinen eigenen Zustand überträgt.

Ein Gegenstand in meinem Zuhause, den ich nicht mag, erzeugt ein totales Störgeräusch. Ich habe immer das Gefühl, das Auge bleibt an diesen Dingen hängen und das Herz stolpert ein wenig. Das ist wie bei einer schönen Landschaft: Du guckst entspannt über schöne Felder und Blumenwiesen und plötzlich schiebt sich ein häßliches Kraftwerk in Deinen Blick. Das stört einfach. Zuhause merken wir es oft gar nicht so sehr, weil wir uns daran gewöhnt haben. Aber das Stolpern bleibt.

Ein Beispiel: Du durchsuchst Deinen Kleiderschrank nach etwas zum Anziehen. Dabei hast Du zur Hälfte nur Kleidungsstücke in der Hand, die Dir nicht mehr passen oder die ein Fehlkauf waren, dann macht das einfach schlechte Laune. Also sehe ich zu, dass ich solche Gegenstände aus meinem Zuhause entferne. So freuen sich vielleicht andere daran und ich selbst muss mir den Blick nicht mit Sachen verstellen, die ich nicht schätze.

Letztlich passt das zu dem, was ich vorher schon gesagt habe. Uns geht es gut, wenn wir möglichst wenige Dinge im Leben habe, die uns Energie rauben und dafür ausgewählte Dinge besitzen, über die wir uns freuen können.

Was denkst du, können Reduktion / Minimalismus das Leben eines Introvertierten verbessern?

Ich bin davon überzeugt, dass es gerade für introvertierte Menschen hilfreich ist, das eigene Umfeld auszumisten. Wir brauchen ja viel Zeit und Raum für uns. Und wenn diese Ruheorte mit zu viel Zeug und schlechter Energie angefüllt sind, kann man sich dort schlechter erholen und auftanken. 

Die Dinge, die wir um uns sammeln, sind ja alle mit Emotionen aufgeladen. Meine Kaffeemaschine erfüllt mich mit Freude, weil sie mir so leckeren Kaffee macht. Das Bild an der Wand erinnert mich an einen schönen Urlaub. Und manche Gegenstände sind eher mit negativen Gedanken behaftet. Wie z. B. Das Deko-Objekt, das man geschenkt bekommen hat und nur aufhebt, weil man sonst ein schlechtes Gewissen hat. Oder - wie in dem Beispiel oben - die Hose, aus der ich rausgewachsen bin und die mir immer sagt „Du bist zu dick“.

Hast du 3 Tipps für uns, wie man mit Minimalismus / Reduktion anfangen kann?

Tipp 1.: Fang einfach an! Reduktion ist nichts, was man mal eben an einem Wochenende umsetzen kann. Es ist ein Prozess, der eigentlich zu einem Teil des Lebens wird. Zunächst erfordert es mehr Aufwand, weil man erst mal Grund schaffen muss. Später muss man nur noch wenig Zeit investieren, da geht es dann fast von alleine.

Tipp 2: Starte mit einer kleine Ecke, z. B. einer Kommode oder auch nur einer Schublade. Schau Dir die einzelnen Gegenstände an und entscheide, ob sie für Dich schön oder nützlich sind und wenn nicht, sortiere sie aus. Was Du nicht behalten willst, entsorge, verschenke oder verkaufe. Und so gehst Du immer weiter, bis Du irgendwann alles durch hast und nur noch das besitzt, was Dir am Herzen liegt. Lass Dich dabei von der Menge, die vor Dir liegt, nicht entmutigen. Du musst ja nicht alles an einem Wochenende schaffen. Bei mir zog sich der Prozess bestimmt über zwei Jahre.

Tipp 3: Achte darauf, dass Du parallel nicht neue Dinge in Dein Zuhause lässt, die Dir keine Freude bereiten. Frag Dich, wenn Du etwas Neues kaufst, ob das Dein Leben wirklich längerfristig bereichert. Und erzähle allen Menschen in Deinem Umfeld, dass Du jetzt ausmistest und dass man Dir nur noch Dinge schenken soll, die sich verbrauchen lassen oder die Du gezielt benennst.

Auch wenn das jetzt eigentlich schon ein vierter Punkt ist, will ich noch meine Lesetipps ergänzen:

  • Ich mochte die Aufräum-Challenge auf Insta von Birgit bei „Zeit statt Zeug“. Sie hat auch ein Buch dazu geschrieben. Das habe ich zwar selber nicht gelesen, aber ich bin sicher, dass sich da ähnlich nützliche Tipps finden.

  • Und ich mag das Buch „Slow - Einfach leben“ von Brooke McAlary. Darin beschreibt sie ihren eigenen Weg, wie sie sich von zu viel Ballast befreit hat.

  • Manch einer kommt auch gut mit der Mari Kondo Methode zurecht. Ich glaube, da muss jeder für sich sehen, was gut geht.

Bildquelle:

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Wie ich als Introvertierte mit Enttäuschung, Frustration und Perfektionismus umgehe

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