Kann ich zuhören lernen? Tipps einer Introvertierten

Zuhören könnte so einfach sein. Ist es aber nicht.

Zuhören könnte so einfach sein. Ist es aber nicht.

Ohren auf. Augen auf. Konzentration auf das Gegenüber. Zuhören könnte so einfach sein. Ist es aber nicht. Woran liegt es, dass sich Extrovertierte mit dieser Rolle schwer tun? Und sind Introvertierte wirklich die besseren Zuhörer? Folgende Gedanken, Erfahrungen und Tipps möchte ich mit dir zu diesem Thema teilen.

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Extrovertierte Menschen haben das Talent, leicht neue Freunde zu finden, immer etwas erzählen zu können und mit Leichtigkeit im Rampenlicht zu stehen. Als Introvertierte schüttelt es mich instinktiv bei dem einen oder anderen Punkt. Extrovertierte besitzen Fähigkeiten, um die Introvertierte sie manchmal beneiden.

Aber auch die leiseren Menschen verfügen über Eigenschaften, mit denen sich die lauteren wiederum schwertun. Einer meiner Lieblingssuperkräfte, die uns als introvertierte Menschen gerne zugeschrieben werden, ist das Zuhören.

Stell dir Zuhören aber nicht so vor: “Ich lasse jemanden reden, stehe daneben und nicke mit dem Kopf.” Denn auch als Person, die zuhört, hast du eine aktive Rolle im Rahmen eines Gesprächs. Und gutes Zuhören will gelernt sein.

Zuhören: Was steckt hinter dem Begriff?

Bevor ich beschreibe, wie zuhören funktioniert, gehe ich kurz darauf ein, was zuhören eigentlich ist. Wikipedia unterscheidet zum Beispiel zwischen verschiedenen Varianten. Das Wort selbst bedeutet:

[…], dass zum rein körperlichen Vorgang des Hörens zusätzlich die Aufmerksamkeit auf das akustische Signal [dein Gesprächspartner] gerichtet wird.

Neben diesem akustischen Signal nehmen wir auch visuelle Reize sowie Informationen über die Quelle des Signals und die Gesprächssituation, in der wir uns befinden, verarbeiten.

Ganz am Anfang habe ich darauf hingewiesen, dass Zuhören keine passive Aufgabe ist. Im Gegenteil, es ist eine aktive Tätigkeit. Auch als Zuhörer beteiligst du dich an dem Gespräch und treibst dieses auch voran.

Für das richtige Zuhören stellte Philosoph und Psychologe Erich Fromm, für den diese Tätigkeit eine Kunst wie das Verstehen von Lyrik ist, eine Reihe von Regeln auf, die dir das Erlernen dieser Fähigkeit erleichtern sollen:

  1. Konzentriere dich voll und ganz auf dein Gegenüber.

  2. Lass deine Gedanken nicht umherschweifen. Sei im hier und jetzt bei deinem Gesprächspartner.

  3. Du brauchst eine starke Vorstellungskraft — um den Gedanken und Ideen deines Gegenübers folgen zu können.

  4. Empathie hilft dir dabei, dich in deinen Gesprächspartner einzufühlen. So kannst du auch das Gesagte und Erzählte auf einer emotionalen Ebene besser verstehen.

  5. Mit der Empathie geht einher, dass du die Fähigkeit hast, dein Gegenüber zu wertschätzen — so wie sich der Gesprächspartner gibt und verhält.

  6. Erst, wenn du empathisch bist und die Person, mit der du redest, wertschätzt, kannst du sie auch richtig verstehen.

Zuhören hilft uns dabei, uns gegenseitig besser zu verstehen. Und das bringt uns einander näher.

Aktives Zuhören

Wer die sechs Regeln von Fromm berücksichtigt, übt eigentlich schon eine weitere Form des Zuhörens aus: das sogenannte “aktive Zuhören”. Als Werkzeug wurde diese Art des Zuhörens als Erstes vom Psychologen und Psychotherapeuten Carl Rogers genutzt. In der interpersonellen Kommunikation wird aktives Zuhören als gefühlsbetonte Reaktion gewertet. Wir reagieren hier als Gesprächspartner auf die Worte unseres Gegenübers.

Um aktiv zuhören zu können, braucht es laut Rogers drei wesentliche Elemente:

  • Eine empathische und offene Grundhaltung gegenüber deinem Gesprächspartner.

  • Dein Auftreten gegenüber deines Gesprächspartners sollte authentisch und transparent sein.

  • Während des Gesprächs musst du dein Gegenüber akzeptieren und die Person positiv betrachten.

Beim aktiven Zuhören nimmt man sich selbst zurück und lässt sein Gegenüber sprechen. Eine Rolle, in die sich Introvertierte sehr gut hineinfühlen und -denken können. Mit der beschriebenen Haltung soll man laut Rogers seinem Gegenüber signalisieren, dass man erfahren möchte, was die Person zu sagen hat.

Klingt für dich diese Art des Zuhörens auch ein wenig erzwungen? Wenn du einem Gesprächspartner gegenüberstehst, der dich mit seinen Inhalten in den Bann ziehen kann oder ähnliche Interessen hat, ist das aktive Zuhören weniger herausfordernd — du hörst schließlich gerne zu.

Aber was tut man, wenn man keine Gemeinsamkeiten hat oder der Gesprächspartner extrem dick aufträgt? So etwas schlägt mich als Introvertierte manchmal in die Flucht — wir verbringen unsere Zeit eben nur ungern mit überflüssigem Gerede oder Smalltalk.

In solchen Fällen bevorzugen viele Introvertierte die Flucht nach vorne: Der Gesprächspartner merkt dein Desinteresse oder du gibst offen zu, dass du mit dem Gesprächsthema nichts anfangen kannst. Entweder ihr wechselt dann das Thema oder das Gespräch endet. Aber vielleicht versuchst du es einfach mit einer anderen Form des Zuhörens und gibst dem Gespräch eine Chance.

Die hohe Kunst des empathischen Zuhörens

Ja, es gibt Gesprächssituationen, die wir am liebsten schnellstmöglich beenden würden. Das ist aber nicht immer sinnvoll. Denn von Menschen, die ganz anders sind als du, kannst du oft am meisten lernen — das schließt auch die Extrovertierten mit ein ;-). Viele Dinge und Aspekte, die mir extrovertierte Menschen schildern und berichten, werde ich nie 1:1 umsetzen können. Aber ihre Geschichten können mich inspirieren. Und wie du bereits weißt, werden aus vielen dieser Begegnungen Beiträge für Kaffee, Kater & Mann. :-D

Ergreife nicht sofort innerlich die Flucht, wenn du das nächste Mal einem Menschen mit einer zu dir komplett gegenteiligen Persönlichkeit gegenüberstehst. Höre dieser Person aufmerksam zu und versuche etwas zu lernen — und sei es, dass du beschließt, Dinge ganz anders anzugehen als dein Gegenüber dir geschildert hat.

Worin liegt der Unterschied zwischen einem aktiven und einem empathischen Zuhörer? Als Letzterer bemühst du dich, die Gefühle deines Gesprächspartners nachzuempfinden, nicht nur zuzuhören, sondern auch Reflexionsmöglichkeit zu bieten. Das beinhaltet, dass du dich zurückhältst, ein offenes Ohr hast und für dein Gegenüber da bist. Mithilfe deiner Empathie kannst du einschätzen, was die Person, der du zuhörst, von dir braucht.

Tipps: Was du beim Zuhören beachten kannst

Auch zu diesem Thema gibt es viele Fach- und Sachbücher, aber auch viele gut gemeinte Beiträge — wie diesen hier ;-). Du kannst dir alle dazu durchlesen und doch nicht schlauer werden. Denn Zuhören ist etwas, dass du tatsächlich nur durch Tun erlernen und verbessern kannst — das ist zumindest meine Meinung.

Als introvertierter Mensch ist das eine gute Möglichkeit, unter Leute zu kommen und sich gleichzeitig mit dem Netzwerken — dem Knüpfen von Kontakten — auseinanderzusetzen.

Und extrovertierte Menschen können vielleicht noch etwas (mehr) Geduld lernen. ;-) Vielleicht ist das bisher nur mit mir passiert? Dir wird eine richtig gute Frage gestellt, auf die du als Introvertierter gerne und lang antworten willst. Aber dann unterbricht dich dein Gegenüber plötzlich, wechselt das Thema, lässt dich nicht ausreden oder dreht sich um und geht…

Mittlerweile weiß ich, dass das manchmal mit gesellschaftlichen Hierarchien zu tun hat (Ich = Freiberufler/Selbstständige und Er/Sie=Führungskraft/oder eine andere “wichtige” Position), Sympathien eine Rolle spielen oder schlichtweg wichtigere Kontakte geknüpft werden wollen. Als introvertierter Mensch solltest du solch ein Verhalten nicht persönlich nehmen. Solchen Personen wirst du immer wieder mal begegnen. Dein Gesprächspartner ist einfach nur auf ein anderes Ziel aus als du. An deinen persönlichen Fähigkeiten oder deinem Werdegang musst du nicht zweifeln — du bist wie du bist und das ist gut so.

Fühlt sich einer meiner extrovertierten Leser ertappt? Dann überdenke bitte deine Rolle als Zuhörer. Überlege dir Strategien, wie du Gespräche beenden kannst, ohne jemanden einfach stehenzulassen. Ausreden sind erlaubt. Diese sollten aber nachvollziehbar, höflich und in keinster Weise verletzend sein. Über das Thema Geduld haben wir ja schon gesprochen.

Und nun zurück zu den Tipps, die ich dir in diesem Abschnitt eigentlich an die Hand geben wollte.

Vier Zuhörertypen, die du kennen solltest

Mit diesen Typen findest du heraus, welche Art von Zuhörer du bist und wie deine Gesprächspartner in dieser Funktion ticken. Zu Beginn eines Gesprächs kannst du einschätzen, mit wem du es zu tun hast und kannst das Miteinander dementsprechend gestalten. Ein weiterer Vorteil: du kannst deine eigenen Erwartungen an den Austausch anpassen.

Diese vier Typen gibt es:

  • Aktiver Zuhörer: Diese Person kann sich in dich hineinversetzen und nimmt alle Elemente deiner Botschaft auf — sowohl die Fakten als auch die Gefühle, die du dabei ausstrahlst. Sie lässt dich mit dem Gespräch nicht alleine, sondern stellt dir Fragen und reagiert auf das Gesagte.

  • Aufmerksamer Zuhörer: Dein Gegenüber hält mit dir Blickkontakt und stellt dir Fragen. Er vermittelt dir, dass du offen sprechen darfst. Dieser Zuhörer fokussiert sich allerdings primär auf die verbalen Inhalte. Die nonverbalen Aspekte lässt er leider außer Acht.

  • Passiver Zuhörer: Dieser Zuhörer erinnert mich an die bereits oben geschilderte Situation. Er wirkt oft abwesend und frustriert. Diese Person steht oder sitzt zwar neben dir, aber schaut dich nur äußerst selten an.

  • Selektive Zuhörer: Sie schnappen nur die Informationen auf, die sie interessieren. So können im Lauf des Gesprächs Informationsdefizite entstehen. Die lösen über kurz oder lang bei beiden Seiten Stress aus.

Verbale Techniken, um die Wirkung des Zuhörens zu stärken

Einige von diesen Techniken nutzt du sicherlich schon automatisch. Diese können aber auch gezielt eingesetzt werden. Mit ihrer Hilfe kannst du die nonverbalen und verbalen Reaktionen deines Gesprächspartners besser wahrnehmen — vielleicht sogar beobachten:

  • Stimme dem Gesagten zu: Damit drückst du aus, dass du dein Gegenüber verstanden hast und die getroffenen Aussagen anerkennst. Das heißt aber nicht automatisch, dass du den Inhalten zustimmst. Bei dieser Geste handelt es sich erstmal nur um eine Reaktion.

  • Wiederhole das Gesagte mit eigenen Worten: Das nennt man auch “paraphrasieren”. Damit stellst du sicher, dass du die Inhalte deines Gegenübers verstanden hast. Dadurch gibst du der Person auch ein Gefühl der Wertschätzung — weil du dir das Gesagt gut eingeprägt hast. Es gibt aber auch Personen, die diese Geste falsch verstehen und genervt sein können, wenn du sie wiederholst. Nutze diese Technik nicht andauernd. Wähle passende Aussagen und greife diese nochmals auf.

  • Stelle Rückfragen an den Gesprächspartner: Am einfachsten ist es, wenn du dich zunächst an den W-Fragen orientierst. So kannst du noch mehr von deinem Gegenüber erfahren und dein Interesse an seiner Erzählung bekunden. Vermeide manipulative Fragen, wie “Ist das dein Ernst?!” “Meinst du das wirklich so?” Diese stiften Verwirrung bei deinem Gesprächspartner und wirken eher negativ als positiv.

  • Sprich Gefühle an, die du von deinem Gegenüber wahrnimmst: Damit gibst du deinem Gesprächspartner die Gelegenheit, sich selbst zu reflektieren. Versuche das Gefühl zu umschreiben und nicht direkt anzusprechen. Es geht darum, das richtige Verständnis anzusprechen und weniger um die Deutung.

Wie du deine Körpersprache als Zuhörer einsetzen kannst

Ein Gespräch findet auch auf einer nonverbalen Ebene statt. Wir nutzen Gestik und Mimik, um das Gesagte zu betonen oder weitere Bedeutung zu geben. Auch als Zuhörer kannst du dich mit deinem Gesprächspartner auf dieser Ebene verständigen. Du könntest die folgenden Dinge ausprobieren:

  • Suche den Blickkontakt zu deinem Gegenüber: Wenn du den Blickkontakt zu deinem Gegenüber hältst, signalisierst du automatisch Interesse.

  • Achte auf deine Körperhaltung: Du wirkst interessierter und aufmerksamer, wenn du dich beim Gespräch deinem Gesprächspartner zuwendest. Verlagere dazu das Gewicht leicht nach vorne. Beachte aber die persönliche Komfortzone: Halte einen Abstand zwischen 60 und 120 cm. Du sollst niemanden auf die Pelle rücken.

  • Zeige Bestätigung und Zustimmung durch Kopfnicken: Ein weiteres bewährtes Mittel, um deinem Gegenüber zu signalisieren, dass du dich für das Gesagte interessierst.

  • Vergiss nicht zu lächeln: Ansonsten wirst du als passiver und desinteressierter Zuhörer wahrgenommen. ;-) Mit einem Lächeln zeigst du Interesse und schenkst Vertrauen.

  • Spiegle die Körperhaltung deines Gegenübers: Dein Gesprächspartner registriert dieses Verhalten und stuft dich damit unbewusst als vertrauenswürdig ein. Nutz diese Möglichkeit aber dezent. Zu offensichtliches Spiegeln fällt negativ auf.

Zuhören: Eine Frage der inneren Haltung

All diese Tipps wirst du sicherlich auch in Büchern finden können. Und vielleicht kennst du sie auch schon. Aber hast du schon mal über die innere Haltung beim Zuhören nachgedacht?

Allzu oft schweifen wir bei Gesprächen innerlich ab, denken über andere Dinge nach oder formulieren unsere Antwort im Kopf bereits vor. So nehmen wir aber nur einen Bruchteil von dem wahr und auf, was uns der Gesprächspartner eigentlich bewusst und unbewusst vermitteln wollte.

Die Rolle des Zuhörers braucht viel Übung. Dafür bringen wir introvertierte Menschen schon ein paar Voraussetzungen mit — wie z.B. die Geduld ;-). Uns fällt die Aufgabe des “stillen Kopfnickers”, als die wir auch von Extrovertierten gerne abgestempelt werden, leicht.

Diese Rolle verlangt von uns, dass wir die eigenen Erwartungen und Einstellungen zurücknehmen. Es geht um das Gegenüber. Nicht um einen selbst. Konzentriere dich auf das, was du von deinem Gesprächspartner hörst und nonverbal wahrnimmst — versuche dies möglichst wertfrei zu betrachten. Die oben genannten Tipps können dir dabei helfen.

Am aller wichtigsten ist meiner Meinung nach die innere Haltung, die es für Zuhören braucht: Es geht nicht darum zu argumentieren, etwas zu gewinnen, jemanden zu überzeugen oder sich wichtig zu machen.

Es geht ums Zuhören: Verständnis für dein Gegenüber, seine Anliegen, Herausforderungen und Probleme, aber auch Offenheit für neues. Denn mit jedem Gespräch entdeckst du neue Seiten an dir und dem Umfeld um dich herum.


Wie leicht fällt dir das Zuhören? Gab es schon mal ein Gespräch, in dem dir die Rolle des Zuhörers besonders schwergefallen ist?

Bildquelle:

  • Titelbild ©️ Vadmary via depositphotos.com

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Wie ich als introvertierter Mensch mit inneren und äußeren Spannungen umgehe