Warum kleine Gesten und Handlungen für Introvertierte wichtig sein können

Allen scheinbar kleinen Gesten und Handlungen messen Introvertierte viel Bedeutung bei.

Allen scheinbar kleinen Gesten und Handlungen messen Introvertierte viel Bedeutung bei.

Eine unauffällige Bewegung mit der Hand, ein Zucken der Mundwinkel oder ein nicht allzu ernstgemeinter Satz – alle diesen scheinbar kleinen Gesten und Handlungen messen Introvertierte viel Bedeutung bei. Mein Fluch und Segen zugleich.

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“Damit habe ich doch gar nichts gemeint!”

‘Doch hast du schon. Sonst hättest du es ja nicht gemacht’, denke ich mir dann immer.

Es gibt viele Kleinigkeiten, auf die Menschen (auch die Extrovertierchen) nur unbewusst achten. Gerade diese vermeintlich kleinen und unauffälligen Dinge sind es, auf die Introvertierte achten. Ich nenne das auch gerne “Liebe fürs Detail”. Denn an diesen Kleinigkeiten schauen wir, wie ihr euch (wirklich) fühlt oder in einer bestimmten Situation verhaltet. Das sagt mir oft mehr als das, was jemand von sich gibt. Große Gesten und überschwängliche Handlungen ignoriere ich. Aufschluss über den Menschen erhalte ich vor allem über die Dinge, die nicht gesagt oder nur angedeutet werden.

Diese Art und Weise, einen Menschen zu lesen, hat natürlich nicht nur Vorteile. Spätestens dann, wenn man eine Situation falsch interpretiert oder in eine Geste zu viel hineinliest, ist das Ganze ein ziemlicher Nachteil – #fuerEuchgetestet ;-) .

Die Frage, die ich mir im Rahmen dieses Beitrags stelle: Wie können Introvertierte dieses Talent gezielt einsetzen ohne sich mit ihren Gedanken – aufgrund falscher Interpretationen – im Kreis zu drehen? Und wie können extrovertiertere Menschen ein Verständnis dafür entwickeln, warum Introvertierte oft die kleinen Gesten und Aufmerksamkeiten vielmehr zu schätzen wissen?

Wie lernt man auf Details zu achten?

Es gibt viele Möglichkeiten, wie du deine Liebe zum Detail verbessern kannst. Du kannst bestimmte Werkzeuge nutzen, versuchen Ablenkungen zu vermeiden oder deinen Geist auf etwas Bestimmtes fokussieren.

Wenn du an deiner grundlegenden Fähigkeit arbeiten willst, deine Aufmerksamkeit besser auf die kleinen Dinge richten zu können, helfen dir aber vielleicht auch die folgenden Schritte:

  • Damit du überhaupt auf die kleinen Dinge achten kannst, solltest du dein Leben und deinen Tagesablauf gut organisieren. Halte wichtige Termine und Aufgaben fest und arbeite sie der Reihe nach ab.

  • Beim Dokumentieren deiner To Dos können dir Listen helfen. Hier gibt es viele Methoden und Ideen, auf die du zurückgreifen kannst. Versuche ein Listen-Design zu finden, dass am besten zu dir, deinem Alltag und deinem beruflichen Leben passen. Thomas Frank kann dir viele Ideen zeigen und erklärt die Vor- und Nachteile.

  • Ein gut strukturierter Tagesablauf und feste Routinen helfen dir, Chaos zu beseitigen. Mit der Zeit wird sich dein Gehirn daran gewöhnen und sich weiteren Dingen – wie den kleinen Details – widmen können. Wenn du bestimmte Routinen erlernen willst, kann dir vielleicht Matt D’Avella helfen – er hat einige Routinen getestet.

  • Dein Gedächtnis wird negativ beeinflusst, wenn du zu viele Ablenkungen um dich herum hast. Wenn du diese minimierst und versuchst dich zu fokussieren, klappt es auch besser mit dem Blick fürs Detail. Dein Smartphone für Arbeitsphasen stumm zu schalten oder die eigene Bürotür geschlossen zu halten, hilft dir, dich vor Ablenkungen zu schützen.

  • Menschen, die Multitasking beherrschen, genießen – komischerweise – oft ein hohes Ansehen. Statt auf eine Vielzahl von Elementen ist es jedoch einfacher, sich immer auf ein bestimmtes To Do zu konzentrieren. So kannst du jeder Aufgabe deine volle Aufmerksamkeit widmen.

  • Auch Bewegung kann dir dabei helfen, dein Gedächtnis und deine Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Versuche jeden Tag mindestens 30 Minuten Sport zu machen – oder mindestens 10.000 Schritte zu gehen.

  • Vergiss bei all der Arbeit und der Bewegung nicht, dir auch öfter eine Pause zu gönnen. So kann dein Kopf entspannen und sich danach wieder leichter auf weitere Aufgaben einlassen.

Mit all diesen Maßnahmen sorgst du dafür, dass sich dein Kopf und damit deine Aufmerksamkeit besser auf andere Dinge konzentrieren können. Denn wenn dein Alltag und Berufsleben von Chaos bestimmt werden, nimmst du den Zauber kleiner Details ganz bestimmt nicht wahr.

Details und das große Ganze: Wie hält man die Balance?

Es gibt Menschen, die ein Auge für das große Ganze oder für die Details haben. Es ist eher selten, dass du oder ich beide Aspekte auf gleiche Art und Weise betrachten können. Kann man lernen, mit beiden Perspektiven “zu sehen”?

Grundsätzlich ist die eine oder andere Fähigkeit Teil deiner Persönlichkeit – du hast von Geburt an eine Präferenz. Allerdings gibt es auch Möglichkeiten, die dir dabei helfen können, die jeweilige Tendenz anzunehmen.

Wie du dein Blick für Details verbessern kannst, hast du bereits weiter oben gelesen. Widmen für uns jetzt deinem Blick für das große Ganze:

  • Du arbeitest an einem Projekt oder an einer Idee und kommst gefühlt nicht weiter? Dann kann dir eine zweite Meinung oder Perspektive dabei helfen, die Dinge aus einem weiteren Blickwinkel zu betrachten. Gleichzeitig lernst du die Denkweise anderer Menschen kennen, die du beobachtest, dir aneignen und üben kannst. So vergrößert sich dein Bild im Kopf. Im Beruf kann dir der Austausch mit Kollegen oder ein Brainstorming helfen, alte Denkweisen zu überdenken und neue Lösungen und Ideen zu entwickeln.

  • Insbesondere dann, wenn du dich vor lauter Details verzettelst und kein Ende in Sicht zu sein scheint, kann eine Pause wahre Wunder wirken. Du kannst an etwas anderem arbeiten, um die Perspektive zu verändern. Auch ein zeitlicher Abstand von mehreren Stunden oder Tagen erfrischt deinen Blick. Falls das nichts bringen sollte, kannst du eine weitere Person hinzuziehen und um Hilfe bitten.

  • Ich erwische mich manchmal dabei, wie ich mich durch kleine Dinge von der Arbeit ablenke. Ein entdeckter Tippfehler mutiert zu einem umformulierten Satz. Schwups! Plötzlich passt der ganze Text nicht. Und schon habe ich den halben Tag mit etwas anderem verbracht als mit dem, was ich eigentlich tun wollte. Besser ist es – soweit es geht – Ideen grob auszuarbeiten und Projekte zu skizzieren. So hast du ein erstes Ergebnis auf dem Papier und kannst dich im Anschluss daran machen, das Ganze mit Details zu füllen.

  • Ein Mantra, das mir auch immer wieder hilft, meine Arbeit zu machen: “Es muss nicht perfekt sein, es muss einfach getan werden”. Dieser Satz erdet mich sehr und macht es mir leichter, Dinge zu erledigen und Projekte zu priorisieren.

Du hast jetzt ein Auge für Details, verlierst aber das große Ganze nicht aus dem Auge. Eine wichtige Eigenschaft, die wie für unsere eigenen Ideen und Projekte benötigen. Doch wie sieht es mit dem angesprochenen Teufelskreis aus? Wie können Introvertierte vermeiden, sich zu viele Gedanken zu Details und anderen Menschen zu machen?

So stoppst du das Gedanken-Detail-Karussell

Es wichtig zu wissen, wie man den Blick für das große Ganze und die Details bewusst trainieren, wahrnehmen und beeinflussen kann. Denn das hilft dir auch mit deinem Gedankenkarussell. Dinge, Gesten und Gesagtes immer wieder zu überdenken, lenkt dich von deinem eigentlichen Leben und deinen Aufgaben ab – mit der Zeit steigerst du dich in Dinge hinein. Mit diesem Denkmodus ziehst du dich aus dem Wahrnehmungs- und Seinmodus heraus.

Mehr Achtsamkeit in solchen Momenten kann dir helfen, den Modus zu wechseln und wieder im Hier und Jetzt zu sein. So nimmst du automatisch mehr Distanz zum vermeidlichen Problem ein (‘Denkt eine Person wirklich so über mich?’) und siehst die Dinge wieder so, wie sie vielleicht gemeint sind (‘Die Person hat es nicht so gemeint. Sie hatte einfach nur einen schlechten Tag.’).

Wenn du dich beim nächsten Mal in einem Denkmodus befindest, versuche diesen Modus bewusst wahrzunehmen. Versuche dann deine Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken. Konzentriere dich auf deine Umgebung oder auf deinen Atem. Werfe dann einen Blick auf das große Ganze: Nimm deinen Körper bei jedem Aus- und Einatmen wahr. So wechselst du ganz entspannt in den Seinmodus, schaltest Sorgen und Gedankengänge ab und erkennst vielleicht, dass alles weniger schlimm ist als gedacht.

Wenn du dein Gedanken-Detail-Karussell so im Griff hast, bist du nicht nur deinem Gegenüber, sondern auch dir selbst gegenüber fairer. Schließlich tust auch du dir keinen Gefallen damit, wenn du ständig nur grübelst. Denn so verpasst du das Schöne im Leben.

Introvertierte Menschen, die kleinen Gesten und Wertschätzungen

Klar mache ich Christian auch das eine oder andere große Geschenk – er ist schließlich mein Mann. ;-) Den Großteil der Zeit gebe ich ihm aber durch viele kleine Gesten zu verstehen, was er mir bedeutet.

Wenn ein extrovertierter Mensch auf mich trifft, ist er oder sie oft davon irritiert, dass ich nur wenige Emotionen mit meinem Gesicht oder Gesten ausdrücke – vor allem dann, wenn es um überschwängliche Erzählungen geht. Grundsätzlich heißt das nicht, dass ich der Person nicht zuhöre oder mich die Dinge nicht interessieren. Es fällt mir nur leichter, meine Emotionen um andere herum zurückzuhalten und für mich zu behalten. In den meisten Fällen höre ich meinem Gegenüber zu, auch wenn das vielleicht nicht immer so wirken mag. Das Zuhören ist sowieso eine Aktivität, die ich als introvertierter Mensch am liebsten tue.

Ich kann nur aus meiner Perspektive heraus erklären, warum ich als introvertierte Mensch, kleine Gesten schätze. Sie entsprechen oft dem natürlichen Verhalten einer Person – sie sind selbstverständlich. Anhand dieses Verhaltens kann ich leichter und schneller erkennen, ob jemand vorgibt etwas zu sein oder so ist wie er/sie wirklich ist. Was ich dem natürlichen Verhalten nicht entnehmen kann, versuche ich aus der Körpersprache abzuleiten.

Und so ist es gut möglich, dass ich an einem Netzwerkabend hauptsächlich damit beschäftigt bin, diverse Menschen unter die Lupe zu nehmen – das ich tue ich besonders bei vielsprechenden Personen gerne – und Überlegungen anzustellen: Stehen sie hinter dem, was sie sagen? Sind sie glücklich oder aufgebracht? Spricht die Person die Wahrheit?

Umgekehrt weiß ich es sehr zu schätzen, wenn mir jemand beispielsweise bei einem Gespräch entgegenkommt und es beginnt. Ich freue mich auch darüber, wenn Menschen die Diskussionen mit mir fortführen wollen. Die größte (kleine) Wertschätzung, die man mir – und vielleicht allen Introvertierten – entgegenbringen kann: Zuhören und ausreden lassen. So können mir Menschen das Gefühl geben, interessiert zu sein.

Aber wünscht sich das nicht jeder Mensch?

Ich hoffe, du kannst introvertierte Menschen und ihre Vorlieben für kleine Dinge besser verstehen. Oder du weißt jetzt, wie du auf Details blicken kannst, ohne den Überblick zu verlieren? Was fällt dir leichter? Hast du ein Händchen für Details oder das große Ganze?

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Wie Introvertierte ihre Hoffnung bewahren